Liebste Nuri!
Vor fast fünf Jahren kamst Du ins Tierheim Göppingen.
Wir, Verena und Andreas, sind damals mit verschiedenen Hunden Gassi gegangen, meist zweimal in der Woche. Zu Beginn gab man uns, dem (relativ) jungen Paar, oft die süßen, unkomplizierten Hunde, vielleicht in der Hoffnung sie an uns vermitteln zu können.
Damals passte ein Hund aber nicht zu unserem Leben, und wir wollten nur 2 oder 3 Mal in der Woche ein wenig Gassi gehen. Irgendwann erkannte das Tierheim aber, dass wir regelmäßig kommen, und man fragte uns, ob wir uns auch was „schwereres“ zutrauen würden.
Dass damit eine 50 Kilogramm schwere Rottweiler-Dame gemeint war, wurde uns erst bei der Übergabe klar. Dementsprechend hatten wir bei den ersten Spaziergängen Respekt vor dir, und waren vor allem damit beschäftigt, dich zu bändigen, wenn Du einen deiner inzwischen fast berühmten Ausraster hattest. Verena musste sich einmal auf den Boden setzen, um genug Widerstand aufzubauen, so bekloppt warst Du manchmal. Und damals hattest Du einige Ausraster. Ein Mensch kommt von hinten? Wuffwuffwuff! Grrr! Ein anderer Hund in 300 Metern Entfernung? Wuffwuffwuff! Grrr! Ein Hubschrauber? Wuffwuffwuff! Grrr!
Doch mit der Zeit hast Du Vertrauen in uns gefasst. Nach dem dritten Spaziergang hast Du dich plötzlich an uns gelehnt, und wir haben verstanden, dass Du Nähe brauchtest. Wir haben uns endlich getraut, dich auch zu streicheln. Und wir haben gelernt, welches Privileg wir hatten, dass Du unsere Nähe zugelassen hast. Denn Du hast dir – bis zum Schluss – immer ausgesucht, wen Du magst, und wen nicht. Aber dein Zutrauen in uns wuchs, und wir haben uns immer mehr in dich verliebt.
Einmal, Du hattest gerade einem heulenden Krankenwagen nachgeheult, da stimmte Andreas mit dir in das Geheul ein. Danach hast Du nie wieder den Krankenwagen angeheult, wenn wir dabei waren, denn Du hattest dein Rudel gefunden. Klar, Du hattest deine Macken. Zum Beispiel wolltest Du uns immer beschützen, auch wenn das gar nicht nötig war. Mehr als ein Mensch bekam dein Zahnweiss-Werbung-Gebiss zu sehen, Leute die komisch gehen wurden gerne mal ganz kritisch angesehen. Und manche Hunde waren dir halt einfach ein Dorn im Auge, bis zum Schluss.
Aber je länger wir mit dir liefen, desto besser wurdest Du. Du hast gelernt, uns zu vertrauen, und wir konnten dich um immer mehr Situationen herum steuern, in denen Du sonst Probleme hattest. Und wir haben auch von dir gelernt. Über bedingungslose Liebe, über die Einfachheit des Seins, über die Nutzlosigkeit von Besitz (obwohl Du sehr gerne Dinge besessen hast – insbesondere wenn sie vorher einem anderen Hund gehörten *lach*) und über die Schönheit des Moments, wenn man mit dir entspannt auf einer Wiese liegt und die Sonne einem ins Gesicht lacht.
Mit der Zeit hast Du abgenommen, auf ca. 35 Kilo. Das war auch bitter nötig, denn bei dem Anblick deiner Röntgenbilder stieß so mancher Arzt aus, dass Du eigentlich gar nicht mehr laufen können solltest. Und dennoch bist Du gelaufen, wie eine Irre. Und Bälle hast Du gejagt! Aus welchen Ecken Du Tennisbälle geholt hast! Allerdings haben Bälle nur kurz bei dir überlebt. Innerhalb von 5 Sekunden waren die vernichtet. Es hat uns Monate und Dutzende von Versuchen gekostet, einen Ball zu finden, den Du nicht beim ersten Mal zerstörst. Und als wir den dann gefunden haben, wurde er für dich zu einem mythischen Objekt, dem B-A-L-L! So mussten wir ihn unter uns nennen, denn wenn das Wort „Ball“ fiel, ranntest Du hektisch suchend über den Boden, denn was das Wort bedeutete, hast Du schnell gelernt.
Leider mussten wir schnell erkennen, dass den Ball zu jagen keine gute Idee war, denn deine HD war inzwischen zu weit fortgeschritten. Also warfen wir den Ball ins Wasser, damit Du ihn dort schwimmend schnappen konntest. Dabei lernten wir, dass Du nicht schwimmen kannst, also ging es zum Hundeschwimmbad. War auch ganz gut für deine Hüfte. Was waren wir stolz, als Du das erste Mal freiwillig in das tiefe Schwimmbecken gesprungen bist – gut, Du warst schon ein wenig gestresst dabei, aber dieser stolze Blick von dir, als Du rauskamst und gelobt wurdest für deinen Mut!
Zwar gab es viel, vor dem Du zu Anfang Angst hattest – Brücken, flatternde Tücher, Vögel. Aber Du wolltest immer lernen, warst immer neugierig, und leider auch schlau. Einmal hast Du uns verarscht, als wir dachten, Du würdest ein Leckerlie suchen (deine Lieblingsaufgabe) und Du plötzlich anfingst, einen Hasen zu jagen. Und wie Du es geschafft hast, dich mit 4 Kilo Trockenfutter vollzustopfen (damals mussten wir mit dir in eine Tierklinik, weil das aufquellende Futter lebensgefährlich für dich war!), das wirst nur Du wissen. Wenn wir dich zum Gassi abholten, bist Du manchmal an uns vorbeigerannt, weil Du Frechdachs dir gemerkt hast, wessen Zwinger grad frei ist, und wer sein Futter noch nicht auf hatte. Das hast Du dann freundlicherweise besorgt. Einmal hast Du beim suchen im Gebüsch plötzlich einen Döner herausgeholt – eines der wenigen Dinge, bei denen man dich nicht davon überzeugen konnte, es wieder herauszurücken. Futter war dir halt wichtig. 🙂
Mit der Zeit waren wir für dich da, und Du warst es für uns. In Zeiten, in denen wir traurig waren, warst Du diejenige, deren bedingungslose Liebe und Treue uns gestützt hat. Du hast Spuren hinterlassen, in unseren Herzen, auf Verenas Stirn (ein Gassi-Unfall), auf Andreas Oberarm (als Du meintest, einen vorbeilaufenden Hund im Zwinger anbellen zu müssen, obwohl der Arm im Weg war). Aber auch in unserer Sprache. Wenn uns etwas aufregt, imitieren wir dein verächtliches „Mah“-Geräusch. Dein glückliches Grunzen, wenn Du dich in deine Lieblings-Hecke gedrückt hast, oder dein Trüffelschwein-Grunzen, wenn Du ganz besonders hart gesucht hast – auch das machen wir manchmal nach. Mit der Zeit hast Du uns glückliche Momente beschert, und wir konnten dir immer mehr Ruhe und Gelassenheit schenken. Aber leider konnte unsere perfekte Harmonie nicht auf den Alltag übertragen werden – zu oft hatten wir Besuch, zu oft kamen Kinder bei uns vorbei – das hätte nicht funktioniert, und so konnten wir dir kein neues Zuhause bieten. Und so bliebst Du im Tierheim, und aus „2 – 3 Mal Gassi gehen“ wurde sehr bald der tägliche Besuch im Tierheim. Nur im Urlaub musstest Du auf uns verzichten. Inzwischen hörtest Du auf diverse Namen, die wir dir aufgrund deiner Persönlichkeit zugesprochen haben – „Maus“, „Süße“, „Panther“ (weil Du immer so glücklich warst, wenn Du im hohen Gras „panthern“ und dich wälzen konntest), „Verrückte“, „Knutschkugel“, „Zicke“ (deshalb auch dein Halsband, auf dem „Edelzicke“ stand).
Aber wie jeder Hund und Mensch wurdest Du auch älter. Gassi konnte keine 3 Stunden mehr gehen, sondern wurde langsam nur noch eine Stunde. Sport hat sich verboten, wegen deiner Hüfte. Wir haben dich mehr suchen lassen, und kleine Tricks beigebracht (zum Beispiel in einer „8“ durch unsere Beine zu laufen). Selbst im Alter wolltest Du uns gefallen und lernen. Doch ab Februar dieses Jahres hast Du rapide abgebaut. Gassi ging nur noch eine halbe, vielleicht eine dreiviertel Stunde. Dein Elan ging verloren, dafür wolltest Du immer mehr kuscheln. Und Schmerzen hast Du bekommen. Als Du das endlich gezeigt hast, war es schon zu spät, das Röntgenbild war desaströs – zu deiner schlimmen HD kam jetzt noch eine üble Arthrose dazu. Dennoch: jeden Tag hast Du dich gefreut wie eine Schneekönigin, wenn wir kamen. Dein ganzer Hintern hat gewackelt vor Freude! Vergangenen Montag muss aber etwas passiert sein, denn als wir dich abends abholten, hast Du gewinselt, dich an uns gedrückt, und deinen Hinterlauf nicht mehr belastet. Ein Besuch beim Tierarzt konnte nichts aufklären, wir versuchten es mit Kortison und Antibiotika. Beides half nicht, deine Schmerzen nahmen immer mehr zu. Du hast dich tagsüber in Höhlen verkrochen, wenn Du eine finden konntest, und selbst die Mitarbeiter im Tierheim konnten dich nicht herauslocken. Erst als Du uns gehört hast, kamst Du – winselnd vor Schmerz – herausgekrochen. Deine Blicke flehten uns an, dir zu helfen. Aber kein Arzt den wir fragten konnte uns noch Hoffnung machen, dir helfen zu können. Selbst stärkste Schmerzmittel verpufften, und Du hast aufgehört zu fressen. Selbst Leckerlies – deine Lieblingsleckerlies! – hast Du nur noch aus Höflichkeit genommen, und statt sie wie üblich herunterzuschlingen, hast Du sie lange gekaut. Am Samstagabend konnten wir deinem Zustand nicht länger zusehen. Zu groß waren deine Schmerzen, zu offensichtlich, dass Du aufgegeben hast. Wir konnten dir nur noch eine Hilfe geben, die Du in unseren Armen, mit unserem Geruch in der Nase erhalten hast. Wir hoffen, dass dir das den Weg erleichtert hat.
Wir danken allen Mitarbeitern im Tierheim, die Nuri all die Jahre begleitet und Ihr eine schöne Zeit beschert haben. Außerdem danken wir dem Verein, der es uns ermöglicht hat, Nuri an einem Samstag, lange nach den Öffnungszeiten, in unserem Beisein in vertrautem Umfeld auf den Weg zu geleiten. Wir danken der Tierärztin, die sich an einem späten Samstagabend die Mühe machte, Nuri weitere Tage voll Schmerz zu ersparen. Wir danken insbesondere einer Mitarbeiterin, die – obwohl sichtlich selbst betroffen – mit uns Nuri an dem Abend hinüber begleitet hat. Und wir danken nochmal dem Verein, dass er es uns ermöglicht, wenigstens Nuris Asche ein Zuhause zu geben. Vielen Dank auch an den Bestatter, Familie Keim von Animalis Mori.
Aber der größte Dank gehört Nuri, der schönen, eigensinnigen, intelligenten, verrückten, liebenswürdigen Maus, die uns in fast fünf Jahren so viel Glück brachte, so viel Traurigkeit von uns nahm, und uns Dinge lehrte, die wir in keiner Schule der Welt hätten lernen können. Danke, schwarzer Panther! Wir wünschen dir auf der anderen Seite viel Spaß mit deinem BALL, den wir dir mitgegeben haben. Hoffentlich hat es da viel hohes Gras!
In Liebe
Verena und Andreas